Samstag, 26. Januar 2008

Freistil (CXXXIII)

Killing Lisa (I)

Ihr Name war Lisa und ich musste sie töten. Sie trieb mich in den Wahnsinn, sie hielt mich davon ab, endlich neu anzufangen mit dem Versuch einen Roman zu schreiben.

Aber wie sollte ich sie umbringen? Wie sollte die Person zu Tode kommen, die mich seit Jahren begleitete? Die einzige gute Figur, die ich je erfunden hatte? Lisa hatte ein ziemlich komplexes Persönlichkeitsprofil, eine komplette Biographie, nicht nur ein paar Erinnerungsfetzen an alte Bekannte und Eltern, wie meine anderen Charaktere. Ich kannte sie besser als meine engsten Freunde. Ich konnte sie in jede verdammte Situation geraten lassen und ich wusste genau, wie sie reagieren würde. Ich musste fast nichts erfinden, wenn ich mit ihr unterwegs war, denn sie handelte wie von selbst.

Sie war keine Selbstmörderin. Dafür war sie zu stark. Und sie hätte sich nie jemanden so sehr zum Feind gemacht, dass derjenige sie umbringen würde. Außer mich, natürlich. Aber ich war nicht in ihrer Realität und es gab damit keine Möglichkeit, dass ich es selbst hätte machen können. Es gab auch keine Möglichkeit, sie zum Feind von irgendwem zu machen, dafür war sie einfach zu verdammt gutmütig. Die einzigen beiden Dinge, die ihr zustoßen konnten, waren also ein Unfall oder eine Krankheit. Wenn man davon ausging, dass sie jung und kerngesund war, eine Krankheit somit fast ausgeschlossen oder doch zumindest sehr weit hergeholt wäre, blieb nur noch der Unfall. Aber wie sollte das passieren? Lisa fuhr weder Auto noch Rad. Sie setzte sich keinen besonderen Gefahren aus, trank nicht, nahm keine Drogen, trieb keinen gefährlichen Sport.

Ich saß da und dachte darüber nach, wie ich meine beste Figur töten sollte und je länger ich über ihre Art mit den Dingen umzugehen nachdachte, desto mehr begann ich sie zu hassen. Die kleine Miss Perfect. Die immer alles richtig macht. Die jeden mag. Wie kam es dazu, dass sie sich so verändert hatte? War sie zum Gegenspieler meiner selbst geworden im Lauf der Jahre? Oder zu dem, der ich in Wahrheit sein wollte?

Ich erinnere mich daran, wie ich sie das erste Mal traf, vor knapp sieben Jahren. Ich stand rauchend vor einer dieser Bars, in denen sie Musik spielen, die im Radio nicht laufen würde, sie joggte vorbei, mitten in der Nacht. Und als ich sie vorbeilaufen sah, dort, war mir innerhalb von Sekunden klar, dass ich sie nicht einfach wieder aus meinem Leben rauslaufen lassen konnte und ich lief hinter ihr her, was für jemanden, der täglich zwei Schachteln filterlose Malboros raucht gar nicht so einfach ist, und sprach sie an. Es endete damit, dass wir bei ihr landeten und Sex hatten und wie ich später herausfand, war es das erste und einzige mal in ihrem Leben, dass sie mit jemanden geschlafen hatte, den sie nicht schon Jahre kannte. Wir redeten im Anschluss die ganze Nacht miteinander und als ich am Morgen aufwachte und mir alles klar wurde, bekam ich einen Weinkrampf. Ich muss feststellen, dass einer der spannendsten Menschen, die ich je kennengelernt hatte, nur eine verdammte Fiktion in einem Traum gewesen war. Also beschloss ich, mit ihr in Kontakt zu bleiben. Über sie zu schreiben. Im Laufe der Jahre wuchs sie. Sie wurde immer wichtiger für mich und wann immer ich irgendetwas schreiben wollte, in dem eine Frau vorkam, konnte ich versuchen, was ich wollte, am Ende war es immer Lisa, egal welchen Namen ich hinschrieb. Aber das sollte endlich enden. Es musste enden. Damit ich frei für jemand anderen bin, dachte ich.

Ich setzte mich an den Computer und begann zu tippen: Als Lisa Finch an diesem Morgen ihr Haus verließ, wusste sie nicht, dass sie nie mehr dorthin zurückkehren würde. Als sie den Schlüssel zweimal im Schloss umdrehte war ihr nicht klar, dass sie in fünfzehn Stunden im städtischen Krankenhaus an diverse Maschinen angeschlossen liegen würde und dass die Maschinen Alarm schlagen würden. Sie konnte nicht davon ahnen, nichts von den Ärzten, die in ihr Zimmer gerannt kommen würden und alles versuchen würden, um sie wiederzubeleben, nichts von den Tränen, die ihr bester Freund Peter um sie vergießen würde, nicht nur wegen ihres Todes, sondern auch wegen der Tatsache, dass er ihr nie gesagt hatte, dass er in Wahrheit seit Jahren in sie verliebt gewesen war, sie wusste nichts von all dem und nichts von noch so viel mehr. Als sie das Haus verließ, band sie sich ein letztes Mal die Laufschuhe, denn das tat sie immer erst kurz vor dem Start und lief los, in den Tag, dessen Abend sie nicht erleben würde.

Ich brach ab. Es fing zu pathetisch an. Dieser ganze sentimentale Rotz. Es war unglaubwürdig. Und vor allem, und das ist das absurdeste, ich hatte Angst, sie könnte mich hören, wenn ich so anfangen würde und dann, in letzter Minute dem Ende ausweichen, in das ich sie laufen lassen wollte. Ich stellte mir vor, dass sie den Plot plötzlich wie eine Vorahnung in ihrem Kopf sehen könnte, wenn er zu offensichtlich war. Wenn ich Lisa wirklich töten wollte, so wusste ich jetzt, musste ich geschickter vorgehen. Sie in Sicherheit wiegen und zuvor gar keinen Verdacht auf das lenken, was passieren würde. Ich löschte das bereits geschriebene.

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