Montag, 31. Dezember 2007
Instant Poetry (LXIX)
Stammbäumchen
IM Garten; unter Königinnen.
Deiner denk wieviel, mir flattert fort,
kein Wind kommt hier, darum,
denn Venus war, lag und verglühte.
Was uns von unseren Eltern blieb:
Sonnenstrahl in uns, entfliehn Flattern;
Fiel ich deinen Schein,
dann: Stille.
Oh!
Fragestunde (III)
a) Welche Länder haben sie, privat oder geschäftlich, schon bereist, was haben Sie sich dort zu finden erhofft und wie steht diese Hoffnung im Verhältnis zur Realität der Erfahrungen?
b)Falls sie sich mit ihr überschneidet: Sind Sie sicher, dass das nicht nur eine Projektion von Dingen ist, die Sie unbedingt dort finden wollten?
Falls nicht: Was genau hat diese Nicht-Überschneidung verursacht? Was hätte anders sein müssen?
Samstag, 29. Dezember 2007
Freistil (CXVI)
Ode an den Nebelfisch
Nebelfisch, Du Träumerziel,
wir suchten dich im Westen,
wir suchten dich im Osten,
Süden und vor allem Norden,
wir suchten und wir wurden schwarz,
wir suchten uns 'nen Wolf
und suchten uns dann grün und blau
und waren trotzdem dauernd nah'.
Ach, Nebelfisch, Du Wunschgesicht,
ich fand Dich gestern in mir drin.
Befindlichkeitskurzmeldung (VI)
Was? Jaja, bin ja schon da. Sorry, hatte mich kurz irgendwo zwischen Weihnachten und Neujahr verloren. Es sind Ferien, da liest sowieso niemand 'n Blog, oder?
Mittwoch, 26. Dezember 2007
Metareflexion, yeah! (XXIV)
Suchbegriffe, mit denen verschiedene Google-Benutzer laut meinem abgefahren komplexen Besucherstatistikauswertungsprogramm bei diesem Blog landeten (V):
-"dadaismus reichtum depression"
-"gleissendes licht löscht bilder"
-"missglückte permanent make up bilder"
-"neurosen abschalten"
-"studivz kaktus im gesicht"
-"weißer ritter alice rückwärts sprechen"
-"bewusste halluzination"
-"art of love orgasmus"
-"duschen mit kette abnehmen"
-"art naiv"
Richtig kreativ, die Menschen, die mein Blog ergoogeln. In manchen Fällen frage ich mich dann aber schon, ob hier zu Weihnachten normale Kekse genascht wurden... einen scheinbar Verrückten kann ich zumindest erklären: "weißer ritter alice rückwärts sprechen" bezieht sich auf 'White Rabbit' von Jefferson Airplane, dessen Text ich irgendwo ganz hinten im Archiv mal als Zitat ins Deutsche übertragen hatte =).... white knight is talking backwards.
Freistil (CXV)
Ich habe gelesen, dass die meisten Menschen in der Dämmerung oder zum Jahreszeitenwechsel versterben. Ich verstehe, warum. Die Dämmerung macht mir schon seit vielen Jahren Angst. Wenn ich in meiner Wohnung bin, lasse ich zumeist den Rollladen immer schon herunter, wenn die Sonne noch zu sehen ist. Ich kann mir das Zwielicht nicht ansehen. Es hat etwas unbeschreibliches, das mich zutiefst beunruhigt und verstört. Er ist bedrohlicher, viel schwerer als die Nacht selbst, der Übergang. Und die Sache mit den Jahreszeiten verhält sich analog.
Befindlichkeitskurzmeldung (V)
lebkuchenverklebt, entweihnachtlicht und vom Christbaum gebissen. Jetzt aber bitte weiter im Text ohne dieses ganze Zeug.
Montag, 24. Dezember 2007
Rauschbart (2007)
Instant Poetry (LXVIII)
Beschuß und Weisung
(X-mess)
Stellt ein Sternbild!
Jedem lächelt laut mein Mißgeschick:
Vergangne Kraft,
ihr Halben hofft
auf die azurnen Wellen,
und gar kein Mann, ob nur, ob nah,
sieht, was die Drei am Himmel sehen.
Aus alten Tagen war ihr Licht,
und das Zicklein, dort und öde,
ließ zurück so manchen
Muselmann in Fesseln.
Sonntag, 23. Dezember 2007
Wort für Wort (XXXIV)
"Wenn man ein Makroobjektiv mit 'ner Nahlinse kombiniert, dann müsste man doch fast schon einzelne Schneeflocken photographieren können, oder?"
Instant Poetry (LXVII)
Mittagsnacht
Also, ihr teure Wahrheit, helle!
Glück bekunden, Wald!
Wandelt der farnlose Nixenreigen!
Mord, im Ätherblau,
im glitzerglitzer Reif
des geweihten Orts - nur! heut!
Aber jetzo alles Ruhe;
da flohen wir zu andern Toten ab!
Freitag, 21. Dezember 2007
Tiefenstrukturanalyse (XIX)
Geduld und Erinnern sind oft genug, sagt der Mensch hinter hor.de über die Möglichkeit, späte Genugtuung zu erreichen. Das stimmt.
Mittwoch, 19. Dezember 2007
Freistil (CXIV)
Kollektiv
Sie trieben die ganzen schwarzen Schweine ins Bergwerk hinunter. Ich stand drüben am Turm, die gleißende Herbstsonne genau über der Kuppe des Berges. Aus dieser Entfernung sah es ein bisschen so aus, als würde ein grotesk großer, schwarzer Tausendfüssler in einem Loch verschwinden, gefolgt von eine handvoll Stöcke schwingender bunter Kleckse. Ich zündete mir eine Selbstgedrehte an und dachte über das nach, was Elias über die Theorie hinter der ganzen Sache gesagt hatte. Es machte auf bizarre Weise Sinn und doch hatte ich ein verflucht ungutes Gefühl dabei, was mich allerdings nicht daran hinderte, mich hinzusetzen, die letzten Sonnenstrahlen auf meine Glatze scheinen zu lassen und langsam wegzudämmern, betäubt von Whisky und dem undefinierbaren Zeug, das man hier dem Tabak beimischte. Als nach einigen Stunden einer der Leute wieder nach oben kam, ein bärtiger Typ mit einer roten Kapuze, den ich als den 'Zerrmixer' kennengelernt hatte und in eine silberne Trompete blies (es schien mir kurz, als würde sich die Sonne so darin refektieren, dass das Licht direkt in meine Augen fiel), war ich schlagartig hellwach. Die helle, kurze Tonfolge hatte sich irgendwie in meinem akustischen Wahrnehmungskanal verfangen und spulte sich selbst immer wieder ab. Ich stand auf und ging schwankend auf den Eingang des Bergwerks zu.
"Wir haben es wieder vollbracht". Jannis strahlte. Er war über und über mit Blut besudelt, seine Hände und kompletten Unterarme waren rot, sein Gesicht sommersprossenartig mit trocknenden Spritzern übersäht. "Ich bin beeindruckt", sagte ich. Beim Film nennt man es Wort-Bild-Schere, wenn das, was gesagt wird und das, was die Bilder ausdrücken, auseinanderdriftet. Die Schere zwischen meiner Mimik und meinen Worten war hoffentlich unübersehbar. Ich fühlte nur Abscheu. "Neuling, Du hast keine Ahnung", sagte Elis, "keine Ahnung". Er wiederholte die beiden Worte anschließend noch einmal. Oder war das nur wieder das, was sie Loop nennen und mit der Droge zusammenhängt? Es war mit scheißegal. Ich konnte mit dieser Situation nicht umgehen. Fünf Männer und drei Frauen, die gerade an die sechzig Tiere mit beinahe bloßen Händen umgebracht hatten, um einer von ihnen selbst erfundenen Inspirationsgöttin zu huldigen, an deren Existenz sie nichteinmal im tatsächlichen Sinne glaubten. Umgebracht? Niedergemetzelt. Wie war ich hier hineingeraten? Ich hatte natürlich, wie jeder von uns, schon von primitiven Tieropferritualen gehört. Schließlich kommt sowas sogar in der Bibel vor, oder nicht? Aber das hier was etwas anderes, wahrscheinlich deshalb, weil es nicht nur Literatur war. Weil es nicht in einer lang verflossenen Epoche spielte, sondern im Hier und Jetzt. Weil diese Leute kein primitiver Stamm in der dritten Welt waren. Es war barbarisch, es war wahnsinnig roh. Es war ekelhaft. Und es funktionierte.
Ich blieb. Nach einiger Zeit gewöhnte ich mich an das jährliche Fest. Als ich das vierte Mal daran teilnahm, bemerkte ich, dass ich schon Wochen davor begann, mich heimlich darauf zu freuen. Ich war endlich Teil einer Gemeinschaft, die nur den Zweck verfolgte, Kunst zu erschaffen. Und das Fest verband uns. In manchen Situationen muss man seinen inneren Schweinehund bezwingen. Bei uns muss man ihm freien Lauf lassen. Nach dem fünften Jahr erklärte ich zum ersten Mal einem Neuankömmling, dass er keine Ahnung hätte. Und ich war überzeugt von dem, was ich sagte.
Instant Poetry (LXV)
Options
Mirakelwald, abstraktes Ding,
ich verirrte mich in deinem Dickicht:
Der neunzehnhundertvierundfünfzigfach
verzwurbelt-labyrinth'ne Weg
zweigt ab, zweigt ab und schweigt.
Montag, 17. Dezember 2007
Freistil (CXIII)
Frühmorgends, wenn der Geist offen ist, wach: Ein Mann mit leerem Blick trinkt Bier, ein anderer ißt eine Bratwurst, Mütter kaufen Süßwaren, man sucht Cornflakes, zweimal fünfhundert Gramm, halb so teuer wie die Originalen, in denen nur die Hälfte davon drin ist, quasi vierfach günstiger, die Eier in den 6er Kartons werden kritisch nach solchen mit gesprenkelten Schalen durchsucht (schmecken am Besten), Bohnen in der Gemüsepfanne, ein junger Inder putzt mich mit einem gigantischen Wischmob vom Wurstregal weg, wo war nochmal der Synthiekäse, lieber doch die blaue Nagelbürste, ich brauch' Getränk. Die junge Reporterin begleitet den Oberpfälzer auf der Reise durchs Wunderland Einkaufszentrum. Er ist Kind geblieben in einer Welt, die nichts kindliches hat. Ersteres zumindest hofft er.
Freistil (CXII)
Wildwasserbahnfahrt
Emotionen, viele,
laute und auch leise;
große Stimmen, bunt bezuckert,
schreien und verführen;
Macht und Wahn:
Der selt'ne Einfall
schrammt 'ne Kerbe
in mein Brain
und ich bin nochmal mittendrin
im Karneval.
Freitag, 14. Dezember 2007
Donnerstag, 13. Dezember 2007
Tiefenstrukturanalyse (XVII)
Bedeutung an sich existiert nicht. Sie muss erst geschaffen werden. Die bessere Bedeutung ist dabei immer die, die man selbst schafft, oder noch besser, in Kollaboration mit anderen schafft, so dass man sie auch beim sozialen Interagieren benutzen kann. Dabei gilt in den meisten Fällen: Je weniger Menschen an der Schaffung und Nutzung der jeweiligen Bedeutung beteiligt sind, desto besser ist sie. Kollektive, gesellschaftlich umfassende und erlernte Bedeutungen sind dagegen minderwertig. Darüber hinaus gilt natürlich das, was man „Klischee“ nennt als niederste Form von kollektiver Bedeutung, die einfach jeder versteht und die einen oft derart brutal anspringt, dass man sich ihr nur durch Ignoranz ihre ganzen Existenz entziehen kann.
Freistil (CXI)
Der komplett rationale Amoklauf
Mit zugespitzten Metaphern bewaffnet,
mit stahltürgeschützten Chiffren bewehrt,
von koinzidenzgenerierten Kodeworten verschlossen,
wahnwütig, nicht -witzig,
irre ich, halbverhederrt,
durch das blickdichte Dickicht der Poesie,
das Ziel vor Herzen, vor Augen nichts außer Dir.
Dienstag, 11. Dezember 2007
Fragestunde (II)
a) In welchem Verhältnis stehen für sie die Begriffe "Glauben" und "Wissen" ganz allgemein?
b) Denken sie, dass einer der beiden Begriffe "stärker" ist als der andere? Warum?
Freistil (CX)
Verlust und Gesellschaft
Ein Finger taucht in Deine Stirn,
Konsonantenwetter, unbeblitzt,
wir sangen von der großen Einheit
und tanzten wirr am Rand mit Trommeln.
Wer sich heute Nacht im Nichts verliert,
der mag bleiben, wo der Pfeffer wächst,
mag gaffen, staunen und auch wettern,
wir zieh'n weiter, gänzlich unberührt.
Montag, 10. Dezember 2007
Briefing (IX)
Liebe Doris Lessing,
bitte lassen Sie mich Ihnen etwas erklären: Das Internet ist ein Medium, genau wie ein Buch oder ein Stück Papier, wenn sie so wollen. Wie man es inhaltlich füllt oder wofür man es verwendet, das bleibt (Vorsicht: Große Überraschungserkenntnis!) komplett dem jeweiligen Nutzer überlassen. Dass Sie in ihrer Rede zur Verleihung des Nobelpreises die Literatur und das Internet als diametral zueinander stehend betrachten, beweist, dass Sie genau das nicht verstanden haben. Und dass Sie oben drauf die Behauptung setzten, die Gesellschaft hätte sich noch nie gefragt, wie sich das Leben und die Denkweise durch die Vernetzung verändert hat, scheint mir so absurd, dass ich nur noch den Kopf schütteln kann, aber, und das soll kein Angriff sein, es ist ja nun wirklich nichts außergewöhnliches, wenn man in Ihrem hohen Alter nur eine diffuse Vorstellung von den etwas moderneren (ich scheue mich, hier noch das Wort „modern“ zu gebrauchen) Technologien und Forschungsrichtungen (Stichwort: Medienwissenschaft) hat.
Fragen Sie das nächste Mal doch bitte jemanden, bevor Sie wieder über etwas sprechen, das Sie selbst nicht kennen. Ich biete mich hiermit als Ansprechpartner an.
Ihr gleichermaßen literatur- wie internetaffiner
S. Baumer
Freistil (CIX)
Einkaufsliste, die beim Runterfallen leicht verrutscht ist
Glas Zitronen,
ein Netz Gurken,
zwei Weintrauben,
eine Schale voll Tomaten;
Zwei Pfund Joghurt,
drei Becher mit Gehacktem,
eingeweckte Zigaretten
und 'ne Schachtel Marmelade.
Fragestunde (I)
a) Wenn Sie eine Erinnerung aus Ihrem Gedächtnis löschen lassen könnten, welche wäre das und warum? Falls Ihre Antwort "keine" ist: Warum ist das so? Und was, wenn sie eine Erinnerung löschen lassen müssten?
b) Was wäre im umgekehrten Fall, d.h. wenn sie lediglich eine Erinnerung behalten dürften?
Freitag, 7. Dezember 2007
iDada (XII)
Die Polizei der Polizei (Das Dada-Ei) – Ein Manifest
Der größte Feind der Kunst ist die Kunst selbst. Alles, was als solche von irgendjemandem anerkannt wird, und das man selbst, in welcher Form auch immer, rezipiert, setzt, wenn auch nur unbewusst, Maßstäbe, denen es zu folgen gilt. Man kann keine Kunst machen, ohne zu wissen, was Kunst ist, aber genau dieses Wissen macht es unmöglich, originell zu sein. Selbst der absichtliche Bruch mit dem, in unserer von "Kunst" und "Kultur" (die Anführungszeichen sind sarkastisch gemeint) völlig durchdrungenen Welt, fast automatisch angesammelten Wissen bezieht sich in der Negation implizit darauf, das ist das Dilemma, dem man einfach nicht mehr entkommt und das zu den diversen Diagnosen eines natürlich niemals stattgefundenen "Todes der Kunst" geführt hat, die allerdings, trotz der Tatsache, dass sie, natürlich in Bezug auf die reine Praxis, unbegründet scheinen, schwer zu ignorieren sind. Nachdem die Avantgarde (und ich verwende den Begriff bewusst in einer bestimmten, argumentativ manipulativen Form, die meine später klar werdende Aussage unterstützen soll) mit ihren Readymades und der monochromatischen Malerei quasi am Ende aller Radikalität ankam, d.h. beim Nichts als Kunst gelandet ist und damit ihren eigenen, in der Konzeption schon enthaltene Kreis geschlossen hat (das Nichts als Anfang und Ende aller Kunst), bleibt allein der Dadaismus, oder viel besser, die grundsätzliche Idee der Dadabewegung als Möglichkeit, dem Dilemma zumindest teilweise zu entrinnen. Selbiges passiert bei Dada vordringlich über folgende Ebenen: a) Die Zufälligkeit als Element der Kunst, die eine bewusste Planung und Konzeption ausklammert, den Künstler als Faktor quasi fast (und "fast" ist hier beinahe zu schwach und auch ungenau mit dem Vorargument verknüpft, denn man ging tatsächlich, auch ohne Bezug auf den Zufall, von fabrikartiger, anonymer Kunstproduktion als Idealbild aus) wegsubtrahiert und den Schaffensprozess und vor allem die seit zu langer Zeit existierende Genieästhetik damit gleichzeitig ironisiert b) Die bewusste Aufbrechung aller Schaffensvarianten in kleinste Teile und die anschließende Rekombination derselben auf der Suche nach einer grundlegend neuen Form von "Sinn", die selbst bei der Sprache an sich nicht haltmacht (man denke an Lautgedichte und Collagen, die leider viel zu wenig Aufmerksamkeit durch die Kritik erhalten haben und erhalten, ebenso wie die traurige Tatsache, dass selbige Genres leider untergingen bzw. in den schmutzigen U-Kultur-Niederungen der Pop-Art re-verortet wurden) c) Die Nicht-Wiederholung des Fehlers, den abstrakte oder moderne Kunst (auch hier an eine sehr spezielle Definition denkend) gemacht hat, der darin besteht, in die tragische Situation zu geraten, umso mehr theoretischen Background zur Selbstlegitimation zu brauchen, umso abstrakter die Sache wird (und die zugehörige, bewusste Ironisierung von genau dieser Situation durch Dada mittels Manifesten, die sich selbst für ungültig erklären) d) Die absichtlich kindliche, nicht-voreingenomme oder auch "primitive" (im Sinne von archaisch-kulturelle) Herangehensweise an den Schaffensprozess e) Die absichtliche (an dieses Adjektiv möge man Zweifel anfügen; evtl. ist auch die schlicht vorhandene Heterogenität der beteiligen Künstler Schuld daran; die Tatsache an sich lässt sich aber nicht leugnen) Nicht-Entwicklung einer ausgeprägten eigenen Ästhetik und die damit einhergehende Vermeidung von Klischees in irgendeiner Form.
All das macht das Verständnis der Kunst im Sinne von Dada, selbst wenn es keine Idealform ist, die, wie zu Beginn erläutert, seit dem Ende der radikalen Zuendeformung der (Anti-)Kunst nicht mehr möglich ist, zum eigentlich einzigen noch Akzeptablen für jemanden, der Kunst nicht im Sinne einer vorgeprägten Ästhetik bloß reproduzieren will bzw. kein vordringlich handwerkliches Verständnis von der Sache hat und der nicht auf den reinen Schockeffekt setzen will, den man in der Vergangenheit oft in die Nähe der Dadabewegung verortet hat, wo er im Grunde nichts verloren hat. Die Avantgarde ist am Ende, die Moderne Kunst, die oft den Anspruch hat, noch Avantgarde sein zu wollen, immer stärker theoretischen Gerüsten verpflichtet, Pop-Art hat sich in Werbung und Design völlig funktionalisiert, die abstrakte Kunst kleckst nur noch zweck- und sinnfrei um eine selbstgeschaffene und längst etablierte Ästhetik herum und spielt dabei, wie auch der ganze, im Grunde gar nicht erwähnenswerte Rest nur mit Varianten von bereits Bekanntem. Wir müssen den Geist des Dada neu beschwören, und sei es aus der schlichten pragmatischen Feststellung heraus, dass er die meiste Freiheit für die Kunst verspricht.
Freistil (CVIII)
Glücksanleitung
Such Dir Sinn und mach Dich groß,
nimm zwei Stöcke in die Hand
und fang endlich an zu trommeln,
trommle laut und schrei' dazu,
schrei' Worte wie den Bienenvater,
vierfachbödig, Wolkenpumpen,
brutalst bunt und kreatürlich.
iDada (XI)
Guud-Daggh Es(n)üüm
Schinton Tiong-h
Schinton Tiong-a
Schonesg ainoft estoid (a) hou-diää
Schomfsk esk hominäi(-oh)
A(n)idum äis-naa
Guud-Daggh Es(n)üüm.
Donnerstag, 6. Dezember 2007
Metareflexion, yeah! (XXIII)
Das ganze Schaffensprozedere ist bisher von allen Theoretikern falsch angegangen worden. Kunst muss aus dem Künstler in der Art geboren werden wie z.b. ein Baum einen Apfel hervorbringt, es muss eine natürliche Geburt sein, die in der Folge auch kein blosses Abbilden von irgendwas, das die Natur schon gemacht hat, sein kann, sondern eine völlig eigenständige Frucht erzeugt.
Kunst ist in der Folge dessen selbstverständlich "abstrakt" oder "fremd" für den, der diesen Prozess nicht erkannt hat. Und der ganze Rest ist eher Journalismus.
Mittwoch, 5. Dezember 2007
NeuRosen (XXXI)
Mitten im leeren Zuschauerraum eines Theatersaals mit einer Schlangenmaske vor dem Gesicht sitzend, Menschen zu afrikanischem Gesang betrunken tanzen und singen hörend, verliebte ich mich nicht nur neu in Dich, sondern fand auch ein kleines Teilstück von etwas in mir wieder, das ich vor vielen Jahren verloren zu haben glaubte – der Fähigkeit, mit und vor Fremden zu sprechen ohne innerlich zu sterben. Ich brauche mein Studium gar nicht hinschmeissen, um Schlangenbeschwörer zu werden. Ich bin es nämlich schon.
Dienstag, 4. Dezember 2007
Spam (VI)
Mein Blog funktioniert seit Tagen nichtmehr richtig. Ich bitte um Verzeihung bei dem Stilbruch in der Bildausrichtung. Wer weiß, warum meine Post-Toolbar (der "wysiwyg"-Editor) nicht funktioniert, den bitte ich um Nachricht. Danke.
Instant Poetry (LXIII)
Kleines Manifest am dritten November
Tänze, Masken, Trommeln,
Voodoo, Wut und Fisch.
Es ist wieder Krieg
und der Feind ist die Kunst selbst:
Stürz alles zurück nach Neunzehnsiebzehn,
nimm die Natur
und werde endlich richtig primitiv-
Samstag, 1. Dezember 2007
Der Selbstkritiker (VI)
Dem Blog fehlt es in letzter Zeit an Struktur. Es ist zu bunt, zu chaotisch, zu non-linear. Das ganze sah wesentlich professioneller aus, als sich wiederholend immer zwei Gedichte (oder ein Gedicht und ein anderer Text) und ein Schwarzweißfoto die Klinke in die Hand gaben. Dorthin zurück, das muss das Ziel sein.
Donnerstag, 29. November 2007
Wort für Wort (XXXII)
"Wenn ich das so lese, dann bin ich auch dada." - "Und die da? Ist die da dada?" - "Dada ist für alle da."
Freistil (CV)
Ich glaube fest daran, dass das Talent zu einer künstlerischen Tätigkeit, welcher Form auch immer diese sein mag, die unvermeidbare Verpflichtung mit sich bringt, die Tätigkeit auszuüben, ihr Raum im eigenen Leben einzuräumen und sie, wenn es nötig sein sollte, auch vor die privaten Interessen zu stellen. Das ganze hat etwas religiöses, wenn man will, in dem Sinne, dass man sein Leben an etwas widmet. Wenn man nicht will, hat es nichts religiöses, sondern ist einfach nur Arbeitswut (neudeutsch Workaholism) und Disziplin. Es ist meiner Meinung nach genau das, was den echten Künstler von demjenigen unterscheidet, der lediglich talentiert ist, dieses Talent aber seinen eigenen, im größeren Kontext völlig unbedeutenden Interessen unterordnet. Und wenn das jetzt zu pragmatisch klingt, dann sei hinzugefügt, dass eine, im Idealfall gigantisch brennende Leidenschaft sehr hilfreich dabei ist, die Disziplin für die Ausübung der entsprechenden Tätigkeit aufzubringen. Notwendig ist sie aber nicht zwingend.
Jedesmal dann, wenn ich Dich ins Bett bringe und Du mich fragst, ob ich nicht doch gleich mit unter die Decke schlüpfen will, verfluche ich diesen Glauben. Wenn ich einige Stunden später mein eigenes, kleines Zimmer verlasse, um zu Dir zu kommen und sehe, was ich in dieser Zeit aus dem Nichts heraus einfach geschaffen habe, dann nicht mehr.
Dienstag, 27. November 2007
Tiefenstrukturanalyse (XV)
Wenn ich Dir einen Rat geben sollte, der Dein Leben verändert, dann würde ich folgendes sagen: Sei einfach Dein eigener Maskenbildner.
Freistil (CIV)
Treibhölzenere Dichtung
Mein freischwebendes Hirn erkennt:
Mit hundertausend Schönen hast Du gehändelt
und doch keinen Erfolg für Dich erzielt,
und doch glaubst Du, es liegt nicht an Dir selbst,
das nennt man Glauben ohne Augenlicht.
Man möchte manchmal nur noch driften -
nicht mal weg-, einfach herum-:
Blanke Ritter, schwarze Schilde, morgen Leben,
Echo drauf (und evtl. sogar Wort).
Pfeil und Messer, kühle Träume, gestern Worte,
heute Trommeln.
Montag, 26. November 2007
Instant Poetry (LXII)
Die Niederwerfung (Eigenschaft II)
Durch Dunkel,
horch, Du Kaiser,
wimmert, Stirne,
Natur und Denkorgane,
bis ihr die Gischt der blanken Speere spürt
und bis der Blütenrausch erstarrt.
Es girrt so hell,
ins Lager schmuggelnd,
welcher liegt und welchem fügen?
Und in allem anderen: Wild der König, allezeit.
Instant Poetry (LXI)
Ohne Farbe (Eigenschaft I)
Schaut, oh Wasserlilienkelche:
Alle Lichter, alle fernen Orte!
Kleinteil, im Menschenmunde
größstes Wunder.
Um die versunkenen Tempel
stehen Cypressen,
und sofort und kamerabewert
schweift er zu Aug um Aug!
Samstag, 24. November 2007
Instant Poetry (LX)
Von hinten und von vorne
Im zerbrochenen Milchwald
verschwinden urplötzlich die Kinder,
in wildwuchernden Hinterzimmern
verschachtert das Nichts seine Welt.
Wort für Wort (XXXI)
"Hey, würdest Du vielleicht ein gutes Profilbild fürs StudiVZ von mir machen?" – "Nein." – "Nein? Aber für den Dings hast Du doch..." – "Nein. Habe ich nicht. Ich habe den Dings photographiert und er hat mich im Anschluss gefragt, ob er eins der Photos dort verwenden darf, was ich mit einigem Widerwillen erlaubt habe. Photographiere ich etwa neuerdings für irgendwelche billigen Web2.0-Absteigen?" – "Aber.." - "Jetzt komm mir bloss nicht mit dem Argument, dass ich da doch selbst Photos hochgeladen hätte. Ja, habe ich. Genauso wie bei Facebook, Myspace und allen sonstigen an sich zweckfreien Plauderportalen. Und zwar um meine Arbeit zu promoten, die an sich nichts, aber auch gar nichts mit diesen Seiten zu tun hat."
Donnerstag, 22. November 2007
iDada (VII)
Dada nennt man Blödelei, dada macht Dich vogelfrei. Dada ist für Ruhe und für Orden, dada gegen alle ausdenkbaren Sorgen.
Dada in der Pumpernickelfabrik: Mmmmjamm!
Dada ziept nicht an den Haaren.
NeuRosen (XXX)
Eine Herausforderung ist nur dann eine Herausforderung, wenn die Möglichkeit des Nicht-Scheiterns besteht. Da es aber technisch, zumindest mit meiner Kamera, die nur bis ISO800 halberträgliche Resultate liefert, unmöglich ist, ohne Blitz in einem größeren Raum brauchbare Indoor-Fotos von sich bewegenden Menschen zu machen und ich keinen solchen besitze, kann es auch keine Herausforderung sein. Ich nehme also nicht die Herausforderung nicht an oder bin egoistisch, sondern möchte lediglich vermeiden, die in meine Bilder permanent und auch in diesem Fall zweifellos gestellten Erwartungen zu enttäuschen. Nimm meinen eigenen Perfektionismus hinzu, der mich bisher relativ zielsicher davor bewahrt hat, mich vor mir selbst allzu sehr zu blamieren, nimm hinzu, dass Du mir vor nicht allzulanger Zeit selbst aufgetragen hast, ich möge doch öfter meine Meinung und das Wort "Nein" sagen, wenn ich etwas nicht tun will oder kann, nimm hinzu, dass ich schon allein wegen der Uni so gut wie gar keine Zeit habe, um schlechte Bilder zu machen, auf die die Menschen dann viel zu lange warten müssten, um von denen ich und alle anderen am Ende nur enttäuscht wären, dann ist es fast eine zwingende Konsequenz, dass ich die Frage mit eben jenem "Nein" beantwortete, auch wenn ich wirklich sehr gerne anders gehandelt hätte.
Ich verstehe, woraus Du ein "Enttäuschtsein" ableiten willst, ich verstehe, dass es vielleicht gar nicht den Anspruch an irgendeine Art von Perfektion von Deiner Seite aus gegeben hätte, aber den gibt es von mir aus. Und er ist sehr stark, dieser Anspruch. Ich mache keine Dinge halb. Es ist etwas in mir, dass mir das verbietet. Und ich bin froh, dass dieses Etwas existiert, denn ohne seine Existenz wäre ich wie jeder beliebige andere Mensch.
Mittwoch, 21. November 2007
Dienstag, 20. November 2007
Instant Poetry (LIX)
Am Rand tanzen
Welchen Mund mein Fieber,
Den Rosen meinem Glas,
Ein Spiegel ihr Bildnis,
Der Liebe ihren Leckersinn,
Des Westen sein Lohn,
Die Rehe ihre Kehle,
Das Stück mein Pokal,
Das Windspiel sein Brot,
Den Arm sein Samen,
Kein Reichtum seines Lichts,
Das Glück ihr Wasser,
Der Wälder meiner Toten,
Den Lieben dein Angst,
Den Wolken ihren Wimpern:
Das endliche Frühlingsjauchzen.
Montag, 19. November 2007
Briefing (VIII)
Lieber Passant mit Hut,
es war wirklich sehr nett, dass Du mich ansprachst, als Du mir begegnetest, während ich an einer sehr kargen Stelle im Industriegebiet dabei war, wieder einmal den Herbst in Bildern festzuhalten. Auch auf Deine verwunderte Frage, was ich denn da photographieren würde, da gäbe es doch nur hässliches Gestrüpp, versuchte ich verständlich zu antworten, auch wenn ich Dir natürlich nichts über die generelle Ästhetik des Verfalls oder die Schönheit in der Vergänglichkeit aller existierenden Pflanzen erzählt habe, um Dich nicht noch mehr zu verwirren. Dass Du dann aber, nach einem kurzen Lachen kopfschüttelnd von dannen gezogen bist, könnte ich fast als eine Beleidigung auffassen, wenn mir derartiges nicht schon häufiger passiert wäre (vor allem auf Baustellen und in alten Fabriken) und ich nicht an diese Reaktion gewöhnt wäre.
Dir sei hiermit nochmal versichert, dass ich schon wusste, was ich tue. Ich will Dir in jedem Fall nochmal für die später erfolgte Erkenntnis danken, die darin besteht, dass es vielleicht genau das ist, was meine Photographie zu einem großen Teil ausmacht: Ich sehe interessante Bilder, wo andere nur hässliches Gestrüpp am Rande wahrnehmen.
Vielleicht sieht man sich mal wieder,
S.
Instant Poetry (LVII)
Tagwerk
Wenn nichts klafft wacht ein grünes,
manche Blume glaubt an Eden:
Streu Sterne auf das Himmelszelt
und mach Dich dann mal wieder
übern Acker, Söhnchen.
Samstag, 17. November 2007
Freistil (CIII)
Traditioneller Schwippschwapp
Meiner Flucht aus deinem Leibe
folgten Katzen und Gazellen,
die sprangen wild und schwangen Tatzen
und brachten bald alles zum Platzen:
Logik, Logik, Ratio und Vernunft
sind völlig fehl am Platz in meiner Unterkunft.
iDaDa (VI)
Snurrt Kamesi (Hanchton)
Sneeg homanain
Sneeg homanain
Sneeg homanain
Hais-na eft-tun
Naiben est kobatait
Haiftom!
Haiftom!
Haiftom!
Swurrt Kambesi
Surrt Kamesi
Haifnö!
Snurrt Kamesi
Snurrt Kamesi
Hanchton!
Snurrt Kamesi.
iDaDa (V)
Pluplasch (Baum)
für S.W.
Wuwuischnfgäwn
t-t-huu-uu
Wuwuischnfgäwn
t-t-huu
d-d-d-jäää
ge-hoouuu
d-d-d-jäää
ge-hoouuu
göhuuu-n
gehu
göhuuu-n
gahu
göhuuu-n
Wuwuischnfgäwn
t-t-huu
Freitag, 16. November 2007
Instant Poetry (LVI)
Das Fensterloch
Shawt doch: Ein Wüstenein,
Mantel, eine Taube ist stumpf!
Bette ich Größeres? Herein ich Hüte?
Ah, sie pflückt sie gut, nicht herab,
bahnt sich seltsam am Thron,
ist und lüstern oft,
wenn selbst gewährt zum beeisten Fenster:
Schätze!
Sehr liebt Dich nur ein Teilchen:
Der Dinge, die da sind!
Wort für Wort (XXX)
"Ich glaub, ich bin manisch depressiv, aber zu schüchtern, um es zu zeigen." – "Woraus zitierst Du gerade?" – "Nirgendworaus. Das habe ich mir eben über mich selbst gedacht, auf dem Weg nach Hause."
Donnerstag, 15. November 2007
Metareflexion, yeah! (XXII)
Suchbegriffe, mit denen verschiedene Google-Benutzer laut meinem abgefahren komplexen Besucherstatistikauswertungsprogramm bei diesem Blog landeten (IV):
-"art ist name"
-"bumsen"
-"Dekonstruktivität"
-"zettelgedichte"
-"formular antrag auf abschlusshilfe"
-"foto de jared leeto"
-"Fotos von violetten lilien"
-"helmut newton+kochtöpfe"
-"liebesbriefe eines hasen"
-"männer escort prag"
Zu schade, dass ich nicht alles davon wirklich leisten kann... der Männerescortservice in Prag muss noch warten, bis ich das Startkapital auftreiben kann, Fotos von Jared Leeto gibts vorraussichtlich auch nicht in naher Zukunft und für Formulare zum Download ist eher das Bafögamt zuständig, aber der Rest passt schon, insbesondere, was die Liebesbriefe von Hasen betrifft ;).
Freistil (CII)
Tiefdruckgebäude
Im Keller, man musste langen einen neonfarbenen Gang durchschreiten, der an frühe Computerspiele in First-Person-Perspektive erinnerte1, fand sich ein Schwimmbecken, in dem eine Frau unablässig ihre Bahnen zog. Ich weiß nicht, wie lange ich insgesamt dort stand und das Geschehen beobachtete2. Es roch stark nach Chlor3 und die mechanischen Bewegungen mit denen die Mitdreißigerin durch das in Relation zur Größe des ganzen Gebäudes geradezu wahnwitzig klein wirkende Becken schwamm, während die alte Dame, die meine potentielle Vermieterin war, unablässig mit ihrer krächzenden, aber nicht unangenehmen Stimme auf mich einredete4, wirken nach einiger Zeit fast hypnotisch, so dass mir plötzlich dunkel vor Augen wurde.
Als ich wieder zu mir kam, stand ich oben, ganz oben, wieder in dieser leeren, erst kürzlich blütenweiß gestrichenen Wohnung im 29. Stock5 des Y-Hauses, einem Bauwerk, dass Schichten um Schichten von Menschen aufeinanderstapelt, in insgesamt drei sternförmig angeordneten Gebäudekomplexen6. Die alte Frau war verschwunden, meine Begleiterin konnte ich ebenfalls nicht ausmachen und als ich, gänzlich ohne irgendeinen rationalen Grund dafür zu haben, durch die immer noch geöffnete Balkontür an die zugige Luft trat, schien es mir völlig klar, dass das, was ich im Anschluss tat, die einzig denkbare Möglichkeit war, die ich zu diesem Zeitpunkt noch hatte, um dem schon seit Wochen im Verborgenen anschwellenden Wahnsinn7 zu entkommen. Ich sprang von dem Gebäude, das jeder in Bayreuth irgendwie, um sei es nur am nebelverhangenen Horizont schon einmal unbewusst wahrgenommen hat, das aber nur wenige wirklich betreten haben8. Sieben Sekunden später durchschlug mein Kopf zuerst den kleinen, grünen Kaktus, dann den Blumentopf, den die Mieterin in Appartement Nummer 046 im dritten Stock auf dem Rand ihres Balkon stehen hatte9, und wurde schließlich von eben jenem Betonrand abrupt gebremst. Es dürfte witzig ausgesehen haben, wie sich mein Körper beim Fall über die restlichen acht Meter in der Folge dieses recht einseitigen Abgebremstwerdens mehrmals um seinen Mittelpunkt drehte10, aber dummerweise war niemand dort, um es zu beobachten, zumindest stand es so später in den Zeitungen11. Ich bin mir relativ sicher, dass in Wahrheit mindestens zehn bis zwanzig der hier so zahlreich versammelten Menschen irgendetwas von meinem Sprung mitbekommen haben mussten, aber, wie es an einem solchen Ort durchaus Sitte ist, schlicht und einfach stumm blieben, als die Polizei nach Zeugen suchte. Ich selbst konnte dazu auch keine Auskunft mehr geben, denn der heftige Aufschlag mit der Stirn im dritten Stock hatte mich in wenigen Sekundenbruchteilen von einem denkenden, atmenden, extrem komplex konstruierten biologischen Wesen zu einem Stück Fleisch ohne jegliche kognitive Fähigkeiten gemacht, d.h. getötet12.
Währenddessen beendete die Mittdreißigerin mit der blauen Badekappe ihre siebenundfünfzigste Bahn, hielt kurz an und schnappte ein paar Sekunden nach Luft.
1 vgl. zb. die Mitte des vierten Levels in 'Doom II' von Id Software.
2 in jedem Fall handelte es sich um eine Zeitdehnung, d.h. die empfundene Zeit war deutlich länger als die tatsächlich erlebte
3 Tatsächlich roch es, meiner heutigen subjektiven Erinnerung zufolge, nach Schwefel, es muss sich allerdings wohl um Chlor gehandelt haben, da meinen Nachforschungen zufolge Schwefel nicht in Hallenbädern genutzt wird.
4 'krächzend' hier also eher im Sinne von 'typisch für alte Menschen'.
5 Ich habe inzwischen vergessen, wie viele Stockwerke das Gebäude wirklich hat, die 29 ist an dieser Stelle also lediglich eine (wohl annähernd zutreffende) Schätzung, die lediglich die Größe dieses für eine Kleinstadt wie Bayreuth sehr hohen und massiven Hauses verdeutlichen soll.
6 eigentlich Y-förmig, daher auch der Name, 'sternförmig' soll an dieser Stelle die Wiederholung vermeiden, da der Buchstabe kurz davor bereits genannt wird.
7 Wahnsinn in innerer, wie äußerer Bedeutung, d.h. dem Wahnsinn wie in "der Wahnsinn hat Methode" und gleichermaßen dem Wahnsinn im individualpathologischen Sinne.
8 Wer an dieser Stelle noch nicht erkennt, worauf hier permanent Bezug genommen wird, obwohl er es mal gelernt hat, dem ist dringend empfohlen, sich mit seiner eigenen Psyche ebenfalls näher auseinanderzusetzen.
9 Inversion: "Ich fiel mit dem Gesicht auf den kleinen grünen Kaktus draußen am Balkon", was halten sie davon? holla ho holla hi usf.
10 Ein Physiker mag in der Lage zu sein, den Effekt zu benennen oder ihn zu erklären. Ich hoffe, dass ihre Phantasie an der Stelle ausreicht, um meine mangelnde Ausdrucksfähigkeit zu kompensieren. Wenn nicht, lassen sie einfach mal ein Legomännchen fallen, so dass es den Rand ihres Schreibtisches streift und gucken sie zu, was passiert. Falls sie kein Legomännchen zur Hand haben, tut es auch ein Feuerzeug, sofern sie in der Lage sind, sich darunter einen Menschen vorzustellen.
11 Der Plural an dieser Stelle ist natürlich eine Übertreibung des dramatischen Effekts wegen. Bayreuth hat selbstverständlich nur eine einzige, auch nur partiell ernstnehmbare Zeitung.
12 Die aus dieser Beschreibung der Umstände in erster Person Singular natürlich resultierende Frage ist viel zu offensichtlich, um sie in einer Fußnote irgendwie eindeutig zu beantworten. Denken sie sich ihre Antwort gefälligst selbst aus.
Mittwoch, 14. November 2007
Instant Poetry (LV)
Magic Revealed
Das allverwandelnde hörend
schritt ich schmerzfüßig vorran.
Ich blickte hinüber,
sprach es dreimal aus,
sprach wie zu mir selbst
und dann war's vorbei,
als trüg ich nichts bei mir,
nur mohnbesprenkeltes
Milchbrötchenzeugs.
Und es war mir,
als wäre im Gestern
ich nun endgültig fremd.
Instant Poetry (LIV)
Im Weinbergwerk
Und Du warst wortarm,
dennoch tatenreich,
sinnstumm und restwertend,
tatenträchtig, schicksalsschwanger,
rehäugig, todesmutig, zornentgeistert,
geistesgegenwärtig, grellwach, neonkühn,
und schwanensinnig.
Ich war dort mit Dir.
Und nichts von alledem.
Montag, 12. November 2007
Metareflexion, yeah! (XXI)
Sie meinen allgemein? Es scheint eine Art von menschlichem Bedürfnis zu geben, die Zeit anzuhalten. Und zwar bei glücklichen Momenten. Erinnerungen müssen greifbar gemacht werden. Es ist heute schwer, auf eine Geburtstagsparty zu gehen und nicht auf irgendeinem der dort zu hunderten gemachten Photos im Hintergrund zu sehen zu sein, selbst wenn man das vermeiden will, weil man sich für nicht photogen hält. Niemand käme dagegen auf die Idee, Bilder von jemandem zu machen, der gerade weint, weil ein Familienmitglied gestorben ist. Man will an Erinnerungen festhalten, aber nur an den guten. Darum geht es.
Natürlich unterscheidet sich meine Arbeit davon. Nun ja, ich will gar nicht bestreiten, dass es sich zu einem gewissen Teil genau um dasselbe dreht, ich habe schließlich dieselben elementaren Bedürfnisse, aber das ist in meinen Bildern längst nicht so vordergründig oder plakativ der Fall. Bei mir sind es eher die Orte, die meist nur ich selbst kenne und die Models, zu denen ich einen persönlichen Bezug in welcher Form auch immer habe, oder generell die Erinnerungen, die ich mit Motiven verbinde, die die Ebene der Zeitanhaltung bedienen und auch das nur, quasi fast exklusiv, für mich selbst oder einige wenige Mitwisser. Es ist gewissermaßen um einige Levels introvertierter als irgendwelche Partyschnappschüsse.
Obendrauf kommen meiner Meinung nach bei ernsthafter Photographie zwei weitere Ebenen, nämlich die des technischen Aspekts und die des Konzepts. Der technische Aspekt meint prinzipiell nichts anderes als dass man ein Photo in Sinne der Bildqualität so perfekt wie möglich machen will. Das heisst in allererster Linie (und das Folgende gilt beispielhaft jetzt nur für mich persönlich, da es natürlich im gleichen Zug auch eine Stilfrage ist): Vermeidung von Blitzlicht, Mischlicht, unvorteilhaftem Schattenwurf, Vermeidung von direktem Sonnenlicht und unnatürlichen oder zu monotonen Farben. Vermeidung von Bildrauschen, niedrige ISO-Werte, kurze Belichtungszeiten, falls das spezielle Bild nicht dem künstlerischen Aspekt entsprechend etwas anderes fordert. Knackige Schärfe an den passenden Stellen, schöne Übergange zum unscharfen Hintergrund, perfekt sitzender Fokus, gute Bildkomposition nach dem klassischen goldenen Dreieck und solche Dinge mehr. Das Konzept ist hingegen das, was das Foto im Kern ausmacht. Es ist der künstlerische Teil an der ganzen Arbeit. Ich setze nicht einfach jemanden hin und drücke auf den Knopf, zumindest nicht in der Regel. Das erscheint mir zu wenig, es sei denn natürlich, die Person ist selbst schon eine Art von Kunstwerk. Aber selbst dann kann man noch Einiges obendrauf satteln. Ich denke mir Ideen aus, kleine Geschichten, die ich dann perspektivisch und mimisch umsetzen will, ich verkleide die Menschen, ich suche aus, was sie auf den Fotos tragen, wie sie gucken, welches Make-Up sie anhaben, welche Accessoires mit auf dem Bild sind. Ich beschließe, wo ich das Ganze von wo aus fotografieren will und mit welcher Brennweite. Das ist alles extrem wichtig für meine Bilder. Sie zeigen nicht einfach jemanden, wie er ist, sondern sie zeigen eher eine Person, wie ich sie mir vorstelle. Ich fotografiere gewissermaßen auch das mit, was ich empfinde, und an der Stelle kommt ins Spiel, dass meine Bilder nicht nur introvertierter, sondern auch gleichzeitig persönlicher sind als Schnappschüsse, obwohl das zunächst ein Widerspruch zu sein scheint. Die digitale Nachbearbeitung ist selbstverständlich ein großer Teil davon, deswegen könnte ich auch nie wieder zur analogen Photographie zurück. Ich kann ewig darüber nachdenken, wie ein einzelnes Muttermal ein Bild verändert und ob es dazugehören soll oder ob ich es wegretuschiere. Welche Farben geeignet sind. Wie kräftig sie sein sollen. Ob das Bild ein Schwarzweißbild wird oder nicht, oder irgendwas dazwischen. Das sind die Fragen des Konzepts, der Idee von einem Bild, von dem Teil, den derjenige, der es am Ende betrachtet, letztendlich als einziges bewusst wahrnehmen wird, denn niemand hat einen Anteil an meine persönlichen Erinnerungen an den Ort der Aufnahme oder das Model (der Fehler von allen Leuten, die ihre kleinen Kinder oder Haustiere fotografieren und diese an sich sinnlosen Fotos im Netz ausstellen ist der, dass sie exakt das vergessen), niemand sieht die Arbeit, die hinter einem technisch guten Bild steckt, wenn er es gewohnt ist, von Dir fast ausschließlich technisch gute Bilder zu sehen (weil Du als ambitionierte Fotograf die anderen weit hinten auf Deiner Festplatte versteckst oder gleich löschst). Das Konzept, das entscheidet alles. Es ist das ausschlaggebende Element, sobald Du die Technik im Griff hast.
Es ist also eine Mischung aus Erinnerungskonservierung, Beherrschung der vorhandenen Technik und solidem künstlerischem Konzept. Ist es das, was Sie wissen wollten? Und? Wie bringt Sie das jetzt weiter? Ich verrate es Ihnen: Es wird Sie keinen einzigen Schritt weiterbringen. Weil es zugleich eine individuelle Sache ist. Wenn Sie genau das umzusetzen versuchen, was ich gerade beschrieben habe, werden Sie keine besseren Bilder machen. Weil das nicht Ihre Antwort ist, sondern meine. Und weil der einzige Weg zu guten Photos der ist, Ihre eigenen Antworten auf die Fragen zu finden, die hier gar nicht gestellt wurden. Und weil die Fragen aus einem bestimmten Grund gar nicht gestellt wurden, nämlich dem, dass die Reflexion über das, was man gut machen will, so tief in einem selbst verankert sein sollte, dass man keine expliziten Fragen braucht, um sie hervorzurufen.